Dossier

Verschwörungsideologien:
(psychologische) Wirkungsmechanismen

Verschwörungsideologien haben eine Reihe von komplexen psychologischen Wirkungsmechanismen, die jedoch durchaus wissenschaftlich erklärbar sind. ForscherInnen fanden Beweise dafür, dass einige Personen eine grundlegende Tendenz zum Verschwörungsdenken oder sogar zu einer verschwörerischen Denkweise (andere verwendete Begriffe: Verschwörungsprädisposition, Verschwörungsmentalität, Verschwörungsweltanschauung) haben. Dieses Konzept hängt mit politischer Sozialisierung, Medienkompetenzen, Bildungsniveau, Einkommen, Beschäftigung, und dem sozialen Umfeld zusammen.

Darüber hinaus spielen auch verschiedene sozialpsychologische Motive eine entscheidende Rolle, v.a. der Bedarf, etwas zu verstehen (epistemisch), der Bedarf nach Kontrolle (Existenz) und der Bedarf, ein positives Image zu bewahren (sozial). Verschwörungsideologien können wesentlich zur Erfüllung dieser Grundbedarfe beitragen, und können ihre Wirkung dadurch entfalten (vgl. Douglas et al. 2019). Zudem kommen auch noch psychologische bzw. kognitive Verzerrungen und Heuristik, u.a.: illusorische Musterwahrnehmung, teleologisches Denken, “confirmation bias”, oder “biased assimilation”.

Diese Wirkungsmechanismen hängen jedoch vom Auftreten bestimmter Faktoren ab. Ein Szenario, das ein hohes Risiko für das Glauben an Verschwörungstheorien birgt, wäre eines, in dem (1) emotionalisierte Informationen (2) aus einer vertrauenswürdigen Quelle (3) eine Person dazu bringen, eine legitime Bedrohung von außen (4) für eine wichtige Peer-Gruppe wahrzunehmen; (5) diese Bedrohung ist relativ unbekannt und (6) es kann wenig dagegen unternommen werden; und (7) die Person befindet sich in einem emotionalen Zustand (sei es Wut oder Angst), nachdem sie kürzlich ein persönliches Trauma oder eine Krise erlebt hat. Das Schlüsselwort hier ist Wahrnehmung: Keines der oben genannten Kriterien muss objektiv wahr sein, um Verschwörungsdenken auszulösen. Entscheidend ist, wie die jeweilige Person die Situation wahrnimmt, die stark von einer Vielzahl von psychologischen Vorurteilen und kognitiven Faktoren beeinflusst wird. (vgl. Hacker 2021)

Die Wissenschaftlerin Eva Grigori beantwortet die folgenden Fragen: Wie entstehen Verschwörungserzählungen? Warum sind sie so gefährlich? Wie funktionieren sie und was kann man tun, wenn jemand im nahen Umfeld in Verschwörungserzählungen reinkippt?


Struktureller Aufbau von Verschwörungsideologien

Verschwörungsideologien sind ausnahmslos monologische Glaubenssysteme, die dadurch begrenzt bzw. kaum falsifizierbar sind (vgl. Douglas et al. 2019). Dieses Glaubenssystem schafft ein Netzwerk von Ideen, die sich gegenseitig verstärken und dadurch das Netzwerk „selbstschließend“ machen. Infolgedessen werden Verschwörungsideologien, selbst wenn man keine Beweise für eine bestimmte Behauptung findet, oft mit anderen Verschwörungsideologien erklärt. Dieser Mechanismus funktioniert zum Teil durch die Annahme, dass jede Information, die die Ideologie der Gruppe untergraben würde, Teil einer Verschwörung gegen die Gruppe ist. Darüber hinaus sind die Behauptungen von Verschwörungsideologien immer ausreichend vage und zweideutig, um eine Falsifizierung unmöglich zu machen.

Dr. Karen Douglas von der Universität Kent in Großbritannien erörtert psychologische Forschungsergebnisse darüber, wie Verschwörungstheorien entstehen, warum sie sich hartnäckig halten, wer am ehesten an sie glaubt und ob es eine Möglichkeit gibt, sie wirksam zu bekämpfen.

Der Fall von Q illustriert diese begrenzte Falsifizierbarkeit von Verschwörungen aus einer Vielzahl von Gründen. Da es sich bei Q-Drops um Fragen statt Aussagen handelt, wird das Problem gelöst, dass Prophezeiungen nicht eintreten. Wenn sich Prophezeiungen nicht erfüllen, kann man immer behaupten, dass die Antwort, die man auf die Frage gegeben hat, einfach falsch war; aber eine Frage kann niemals falsch sein. Auch der Begriff „dem Plan vertrauen“, ohne jemals zu wissen, was der Plan war, trägt ebenfalls zur begrenzten Falsifizierbarkeit bei: Egal was passiert, es kann immer Teil des Plans sein. Zum Beispiel wurde von Anons argumentiert, dass Bidens Amtseinführung Teil des Plans sei, unter der Erklärung, dass Biden das „Verbrechen“ beenden müsse und die breite Öffentlichkeit Zeuge der Korruption werden müsste, bevor die Kabalen zu Fall gebracht würden. Andernfalls gäbe es Massenwiderstand gegen den Sturm. Eine weitere häufige Rechtfertigung für das Ausbleiben von Q-Vorhersagen ist, dass Unwahrheiten Teil der Strategie sind, den Feind unter dem Deckmantel gezielter Desinformation zu verwirren: Wenn Anons die Bedeutung von Q-Drops herausfinden können, kann das auch der Feind. Die ultimative Q-Theorie für Prophezeiungen, die sich nicht erfüllen, war die höhere Instanz. Q wurde auf dem Christentum aufgebaut, wie die berühmten Begriffe „nichts kann das Kommende aufhalten“ und „es wird biblisch sein“ andeuten. Solche Argumentationen sind auch beim Großteil der Verschwörungsideologien zu finden. (vgl. Hacker 2021)

Pia Lamberty zeigt in ihrem Vortrag, welche psychologischen Erkenntnisse zum Thema Verschwörungserzählungen existieren und was man als Gesellschaft tun kann, wenn sich Menschen immer stärker in den Kaninchenbau der alternativen Wahrheiten begeben.

 

In dieser Folge des modus extrem Podcasts spricht Moderatorin Julia Straßer mit Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Expertin für Verschwörungserzählungen.


Weiterführende Literatur zu psychologischen wirkungsmechanismen

Douglas, K.M., Uscinski, J.E., Sutton, R.M., Cichocka, A., Nefes, T., Ang, C.S. and Deravi, F. (2019), Understanding Conspiracy Theories. Political Psychology, 40: 3-35.
”Scholarly efforts to understand conspiracy theories have grown significantly in recent years, and there is now a broad and interdisciplinary literature. In reviewing this body of work, we ask three specific questions. First, what factors are associated with conspiracy beliefs? Our review of the literature shows that conspiracy beliefs result from a range of psychological, political, and social factors. Next, how are conspiracy theories communicated? Here, we explain how conspiracy theories are shared among individuals and spread through traditional and social media platforms. Next, what are the societal risks and rewards associated with conspiracy theories? By focusing on politics and science, we argue that conspiracy theories do more harm than good. We conclude by suggesting several promising avenues for future research.”

Erik Hacker (2021): The socio-psychological dynamics of conspiracy theories: Is “Q” a warning sign for the future?
”Along commonly asked questions, this extended factsheet provides an overview of socio-psychological theories that explain belief in conspiracy theories in general. This framework is then applied to empirical data on the QAnon conspiracy movement in order to illustrate theoretical assumptions. After a brief introduction of the concept of conspiracy mindset and related demographic groups, the focus is on the fulfillment of epistemic, existential and social motives from a multitude of perspectives: media landscapes, communities, ideological structures, addiction, and gamification. The factsheet is concluded with a variety of options for prevention and mitigation, and a discussion on the implications for the future of society in the context of deep fakes and the post-truth world.”

Matthew J. Hornsey, Kinga Bierwiaczonek, Kai Sassenberg & Karen M. Douglas (2022): Individual, intergroup and nation-level influences on belief in conspiracy theories
“Conspiracy theories are part of mainstream public life, with the potential to undermine governments, promote racism, ignite extremism and threaten public health efforts. Psychological research on conspiracy theories is booming, with more than half of the academic articles on the topic published since 2019. In this Review, we synthesize the literature with an eye to understanding the psychological factors that shape willingness to believe conspiracy theories. We begin at the individual level, examining the cognitive, clinical, motivational, personality and developmental factors that predispose people to believe conspiracy theories. Drawing on insights from social and evolutionary psychology, we then review research examining conspiracy theories as an intergroup phenomenon that reflects and reinforces societal fault lines. Finally, we examine how conspiracy theories are shaped by the economic, political, cultural and socio-historical contexts at the national level. This multilevel approach offers a deep and broad insight into conspiracist thinking that increases understanding of the problem and offers potential solutions.“

Robbie M. Sutton, Karen M. Douglas (2022): Rabbit Hole Syndrome: Inadvertent, accelerating, and entrenched commitment to conspiracy beliefs.
”There is mounting anecdotal evidence that some individuals fall into conspiracy ‘rabbit holes’ causing harms ranging from social isolation to violence. We propose a hypothetical Rabbit Hole Syndrome in which some individuals’ subscription to conspiracy beliefs is initially inadvertent, accelerates recursively, then becomes difficult to escape. This proposal is distinguished by a person-centred and dynamic perspective on conspiracy beliefs. It aims to provide a theoretical foundation for research that (a) illuminates the rabbit hole phenomenon, (b) is pluralistic, spanning diverse subdisciplines (e.g., social and clinical psychology) and methods (e.g., qualitative, longitudinal, and case studies), and (c) informs theory and practice by uncovering discontinuities between committed believers and other populations in the causes, consequences, and ‘remedies’ of conspiracy beliefs.”

Alexander Fontó, Verena Fabris und Fabian Reicher, unter Mitarbeit von Liam Adamson und Katharina Danner (2022): Verschwörungsideologien in Zeiten der Corona-Krise. Eine Analyse anhand von Fällen der Beratungsstelle Extremismus.
“In Krisenzeiten haben Verschwörungserzählungen Konjunktur. Das zeigt auch die seit Beginn des Jahres 2020 andauernde Corona-Pandemie. Insbesondere über Soziale Medien werden Menschen auf unterschiedliche Art und Weise von Verschwörungsmythen und -erzählungen beeinflusst. […] In diesem Artikel wenden wir uns der Auswertung und inhaltlichen Analyse jener Fälle zu, die im Verlauf der Corona-Pandemie an die Beratungsstelle Extremismus herangetragen wurden. Ziel ist es vor allem, ein besseres Verständnis für Gemeinsamkeiten und Hintergründe von Radikalisierungsverläufen zu finden.“

Katharina Nocun, Pia Lamberty (2020): Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.
“Corona ist eine Erfindung der Pharmaindustrie! Menschen, die daran erkranken, müssen so für ihre Sünden büßen! Oder: Das Virus wurde in chinesischen Geheimlaboren gezüchtet! Verschwörungstheorien verbreiten sich nicht nur im Netz wie Lauffeuer und sind schon lange kein Randphänomen mehr. Katharina Nocun und Pia Lamberty beschreiben, wie sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft durch Verschwörungstheorien radikalisieren und die Demokratie als Ganzes ablehnen. Welche Rolle spielen neue Medien in diesem Prozess? Wie schnell wird jeder von uns zu einem Verschwörungstheoretiker? Und wie können wir verdrehte Fakten aufdecken und uns vor Meinungsmache schützen?“

Uscinski Joseph E., Klofstad Casey, Atkinson Matthew D. What Drives Conspiratorial Beliefs? The Role of Informational Cues and Predispositions. Political Research Quarterly. 2016; 69(1): 57-71.
”Why do people believe in conspiracy theories? This study breaks from much previous research and attempts to explain conspiratorial beliefs with traditional theories of opinion formation. Specifically, we focus on the reception of informational cues given a set of predispositions (political and conspiratorial).”

Olivier Klein, Kenzo Nera. 2020. Social psychology of conspiracy theories. In: Butter, Michael (Ed.). 2020. Routledge Handbook of Conspiracy Theories. Abingdon, Oxon; New York, NY: Routledge.
“Conspiracy theories appear to be a particularly spectacular illustration of the fact that, most of the time, our beliefs about the world are more a reflection of a multi-biased information-seeking process than the logical conclusion of an objective investigation of reality.”

Roland Imhoff and Pia Lamberty. Conspiracy beliefs as psycho-political reactions to perceived power. In: Butter, Michael (Ed.). 2020. Routledge Handbook of Conspiracy Theories. Abingdon, Oxon; New York, NY: Routledge.
”Potentially most relevant for a discussion in relation to conspiracy beliefs is the connection between power and control.”

Stef Aupers. Decoding mass media/encoding conspiracy theory. In: Butter, Michael (Ed.). 2020. Routledge Handbook of Conspiracy Theories. Abingdon, Oxon; New York, NY: Routledge.
“From the perspective of media studies and communication sciences, it will be demonstrated that conspiracy theorists are, essentially, (inter)active audiences involved in the decoding of mass media texts to, simultaneously, produce their theories. The chapter utilizes an illustrative case study of YouTubers decoding Illuminati signs and symbols in media texts and public performances of celebrities. The key assumption in audience research as proposed by Stuart Hall is then that there is no inherent meaning in a media text since consumers read, decode, reconstruct and, ultimately, produce meaning in different ways.”

Roland Imhoff et al. (2022): Conspiracy mentality and political orientation across 26 countries.
People differ in their general tendency to endorse conspiracy theories (that is, conspiracy mentality). We conclude that conspiracy mentality is associated with extreme left- and especially extreme right-wing beliefs, and that this non-linear relation may be strengthened by, but is not reducible to, deprivation of political control.”

Bundesweites Netzwerk für Offene Jugendarbeit — Beratungsstelle Extremismus (2021): Handreichung „Umgang mit Verschwörungserzählungen in der eigenen Familie“
Konkrete Beispiele und Empfehlungen für den Umgang mit Verschwörungserzählungen.

Ecker, U.K.H., Lewandowsky, S., Cook, J. et al. The psychological drivers of misinformation belief and its resistance to correction. Nat Rev Psychol 1, 13–29 (2022)
”Misinformation has been identified as a major contributor to various contentious contemporary events ranging from elections and referenda to the response to the COVID-19 pandemic. Not only can belief in misinformation lead to poor judgements and decision-making, it also exerts a lingering influence on people’s reasoning after it has been corrected — an effect known as the continued influence effect. In this Review, we describe the cognitive, social and affective factors that lead people to form or endorse misinformed views, and the psychological barriers to knowledge revision after misinformation has been corrected, including theories of continued influence. We discuss the effectiveness of both pre-emptive (‘prebunking’) and reactive (‘debunking’) interventions to reduce the effects of misinformation, as well as implications for information consumers and practitioners in various areas including journalism, public health, policymaking and education.”

Andreas Goreis, Martin Voracek (2019): A Systematic Review and Meta-Analysis of Psychological Research on Conspiracy Beliefs: Field Characteristics, Measurement Instruments, and Associations With Personality Traits. Front. Psychol., 11 February 2019
”The present study reviews the literature of psychological studies investigating conspiracy beliefs. Additionally, the association between Big Five personality factors and conspiracy beliefs is analyzed meta-analytically using random-effects models. Ninety-six studies were identified for the systematic review.”