Was ist Rechtsextremismus?
Der Sammelbegriff Rechtsextremismus deckt eine Reihe von verschiedenen extremistischen Ideologien ab, wie z.B. “(Neo-) Faschismus, (Neo-)Nazismus, Rechtspopulismus, Nationalpopulismus, radikale Rechte, extreme Rechte, alte Rechte und neue Rechte” (Pawelz et al. 2017). Rechtsextremismus kann als “Oberbegriff für Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen [verstanden werden], die von einer rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen und sich auf anti-pluralistische, anti-egalitäre, anti-demokratische und anti-liberale Haltungen stützen, hinter denen eine holistische Ideologie steht und auf deren Grundlage Militanz proklamiert oder tatsächlich Gewalt angewendet wird” (Pawelz et al. 2017, nach Hans-Gerd Jaschke und Armin Pfahl-Traughber).
Weiterführende Literatur zur Begriffsbestimmung
Bernhard Weidinger: Jenseits des Hufeisens. Plädoyer für einen anderen Rechtsextremismusbegriff.
Brigitte Bailer-Galanda: Zum Begriff des Rechtsextremismus
Andreas Peham: Rechtsextremismus als politische und pädagogische Herausforderung
IDA e.V. (2021): Was heißt eigentlich Rechtsextremismus? (Infoflyer)
Geschichte
Rechtsextremismus ist ein altes aber nicht statisches Phänomen: er wird stets an die aktuellen politischen und hegemonialen Bedingungen angepasst, sowohl inhaltlich, als auch was die Erscheinungsformen, Strukturen und Strategien betrifft, ohne aber die grundlegenden ideologischen Werthaltungen zu ändern (Peham 2014). Obwohl “ältere” Strömungen, wie Nationalismus und rechtsextreme Skinheads weiterhin existieren, gibt es mittlerweile auch neue Entwicklungen, wie z.B. die sogenannte Neue Rechte, die zwar viele Merkmale der älteren Bewegungen teilen, jedoch auch einige “Reformversuche” mit sich bringen.
Erscheinungsformen
Rechtsesoterik, Querdenker, Staatsverweigerer
Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine separate Strömung innerhalb des Rechtsextremismus, die sich auf Umweltschutz, Esoterik und naheliegende Themen fokussiert. Die Grenzen dieser Szene sind eher fluid und es kommt häufig zu Überlappungen mit Verschwörungsideologien (v.a. in Bezug auf Gesundheit, Medizin und Bildung) und der sogenannten Staatsverweigerer-Szene. Diese AkteurInnen fokussieren auf den Schutz des “Vaterlandes” aus Sicht der Umwelt bzw. Natur.
Neue Rechte
Bei der „Neuen Rechten“ handelt es sich um keine feste Gruppierung, sondern um ein loses Netzwerk, welches versucht, alten Rassismen ein neues, intellektuell wirkendes Erscheinungsbild zu geben. Diese neue Erscheinungsform steht eher für neue Strategien als für grundlegende inhaltliche Veränderungen. Im Mittelpunkt der neurechten Strategie steht die stilistische Änderung, mit der versucht wird, altes rechtsextremistisches Gedankengut mit neuen Begriffen zu verkaufen, etwa wie der neue Fokus auf “Kulturen” statt “Rasse”.
Neonazismus, Skinheads, white supremacy
Rechtsextremismus hat vielerlei Ausprägungen aufgrund seiner ideologischen Vagheit, die viele Überlappungen aufweisen und eher fluid sind. Rechtsextreme Skinheads bilden eine schwach organisierte aber gewaltorientierte Subkultur, welche rechtsextreme ideologische Gesinnungen mit der Skinhead-Kultur kombinieren. White supremacy (Weiße Überlegenheit) ist eine Bewegung, die Machtverhältnisse rein nach “Rassen” definieren und eine Dominanz der “Weißen” behaupten bzw. diese vermeintliche Überlegenheit aufrechterhalten bzw. “wiederherstellen” wollen.
Incels, male supremacy
Die Bewegungen rund um male supremacy (männliche Überlegenheit) decken ein breites Spektrum hasserfüllter Ideologien ab, bei denen die Unterwerfung von Frauen sowie traditionelle, rigide Geschlechterrollen im Mittelpunkt stehen. Im letzten Jahrzehnt haben v.a. die sogenannten Incels (“INvoluntary CELibate”, d.h. unfreiwillig zölibatär) zunehmend an Relevanz gewonnen. Incels sehen Männer zwar nicht automatisch überlegen, ihre Ideologie fokussiert jedoch auf den Hass gegen Frauen, was bereits zu Terroranschlägen geführt hat.
Internationale Strukturen und Netzwerke
Die rechtsextremen Szenen in Deutschland und Österreich sind durchaus divers. Während gewisse Szenen hierarchisch organisiert sind (z.B. gewisse Neo-Nazi Gruppen), sind andere (z.B. “Neue Rechte”) eher dezentralisiert und ohne feste Strukturen. Diese Netzwerke passen sich stets an die jeweiligen sozialen und politischen Verhältnisse an und sind damit ständing im Wandel.
Rechtsextremismus breitet sich weiterhin rasant aus, auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Fast jede rechtsextreme Struktur, unabhängig von ideologischer bzw. strategischer Auffassung, vernetzt sich zunehmend international und gründet ideologische, strategische und taktische Allianzen, z.B. zwecks Rekrutierung, Verbreitung von Propaganda, gemeinsame Trainings, Austausch, usw.
Strategien
Rechtsextreme verwenden spezifische Strategien, um ihre Ziele zu erreichen. Dazu gehören u.a. besondere Deutungsrahmen, modernes Online-Verhalten (z.B. Trolling, Chan-Kultur) bzw. Auftreten, die Nutzung von Videospielen und spielbezogenen Elementen, szenespezifische Musik (z.B. Rechtsrock, Hip-Hop, Fashwave) und Ästhetik, die Entwicklung und Verbreitung von Verschwörungserzählungen, aber auch gewisse Protestformen. Zusätzlich gibt es auch relativ neue Entwicklungen bezüglich ideologischer und strategischer Konvergenz zwischen islamistischen Extremisten und Rechtsextremen.
Rechtsextremer Terrorismus
Nach dem RTV-Datensatz des Center for Research on Extremism (University of Oslo) gehörte 2020 zu jenen fünf Jahren mit den wenigsten tödlichen Anschlägen seit 1990 und passt in einen langfristigen Trend sinkender tödlicher Anschläge pro Jahr in Westeuropa. Dieser Rückgang tödlicher Ereignisse scheint damit zusammenzuhängen, dass (1) „Metapolitik“ aufgrund begrenzter Möglichkeiten für bewaffneten Widerstand zur bevorzugten Strategie von Rechtsextremen geworden ist, (2) dass eine subkulturellen Verschiebung (von der Skinhead-Kultur zum Online-Trolling) in der Szene stattgefunden hat, und dass (3) neue Möglichkeiten zur Verbreitung von alternativen Weltansichten im Internet vorhanden sind.
Auch der aktuell dominierende Modus Operandi unterscheidet sich bei den früheren und jüngsten Massenanschlägen deutlich: In der Vergangenheit handelte es sich bei Massenanschlägen um Brandstiftungen ohne die Absicht, viele Menschen zu töten, während jüngere Anschlägen mit Schusswaffen verübt worden sind und ausdrücklich darauf abzielten, so viele Menschen wie möglich zu töten. Besonders von rechtsextremer Gewalt betroffen waren Deutschland, Großbritannien, Griechenland und Italien. Langfristig gesehen verzeichnen die meisten westeuropäischen Länder einen Rückgang rechter Gewalt, erleben jedoch gleichzeitig eine Zunahme der Unterstützung für rechtsextreme Parteien. Einzeltäter waren die prominenteste Tätergruppe im Jahr 2020, wie auch in den letzten 4 Jahren. Basierend auf Online-Analysen betrachten diese Einzelakteure ihre Angriffe nicht als isolierte Ereignisse, sondern als eine miteinander verbundene Kette gewaltsamer Handlungen (inspiriert von anderen Akteuren, auch über Westeuropa hinaus).
Opfer von Gewalttaten im Jahr 2020 waren überwiegend ethnische und religiöse Minderheiten. Innerhalb dieser Gruppen stellen Einwanderer, Ausländer, AsylbewerberInnen und Flüchtlinge den größten Anteil, gefolgt von Schwarzen. Auf den Rechtsterrorismus hatte die Pandemie nur schwache Auswirkungen.
Für eine ausführlichere Analyse und Infographiken, siehe: Jacob Aasland Ravndal, Madeleine Thorstensen, Anders Ravik Jupskås and Graham Macklin: RTV Trend Report 2021
In diesem RTV-Trendbericht werden neue und aktualisierte Daten zu rechtsextremen Anschlägen und Anschlagsplänen in Westeuropa im Jahr 2020 präsentiert. Diese Daten werden auch mit früheren Jahren verglichen, um neue Entwicklungen zu identifizieren und Trends zu erfassen.